Bild: Städtische Veranstaltung zur SEM Nord im Münchner Stadtteil Feldmoching
Dieser Beitrag über das Vorhaben SEM Nord erschien am 28. Juni 2024 in der BSZ (Bayerische Staatszeitung, unabh. Wochenzeitung). Er wurde nachträglich hier im Blog veröffentlicht.
Informationsabend zur SEM Nord
Der Stadtteil Feldmoching wirkt mit seinen Wiesen, Feldern und Seen für Münchner Verhältnisse recht ländlich. Doch die Stadt München sieht hier nicht nur die bestehenden Qualitäten, sondern auch großes Potenzial für eine viel dichtere Bebauung.
Das Untersuchungsgebiet der sogenannten „SEM-Nord“ erstreckt sich über 900 Hektar. Die Abkürzung „SEM“ steht dabei für die „Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme“ nach dem Baugesetzbuch. Am 6. Juni stellte das Planungsreferat seine ersten Ideen in Feldmoching vor.
Zur Veranstaltung in der örtlichen Mehrzweckhalle kamen weit über hundert Menschen, die meisten direkt aus dem Stadtbezirk. Als das Publikum zu Beginn des Vortrags gefragt wurde, wer mit Bedenken hier sei, hoben fast ein Drittel die Hand (siehe Bild oben).
Der Planungshorizont für die SEM ist langfristig angelegt: Ein Bauleitverfahren möchte die Stadt erst in rund zehn Jahren ansteuern. Für November 2024 lädt sie zu einer mehrtägigen Ideenwerkstatt im ehemaligen Gasteig ein, bei der sich alle Interessierten mit interdisziplinären Planungsteams austauschen können. Die Ergebnisse sollen nächstes Jahr in eine Machbarkeitsstudie einfließen. Viele Anwesende protestierten gegen den weit entfernten Veranstaltungsort im Zentrum der Stadt. Außerdem kamen Zweifel auf, ob eine von der Stadt beauftragte Ideenwerkstatt tatsächlich „ergebnisoffen“ sein werde.
Grafik: SEM-Untersuchungsgebiet im Münchner Norden (Bildquelle: Stadt München)
Kritik der Bürger an den Planungen
Weitere Fragen und Bedenken aus dem Publikum galten den heutigen Problemen, etwa mit dem dichten Verkehr und der Wohnungsnot, weil die Stadt immer weiter wächst und boomt. Hier wollten einige wissen, wie das weitergehen wird: Sollen vor allem Wohnungen gebaut werden, oder auch Büros mit zusätzlichen Arbeitsplätzen, die noch mehr Menschen anziehen würden? Das steht heute noch nicht fest, so weit sind die Planungen noch nicht. Ein Bürger fragte pointiert: „Was machen wir, wenn alle Grün- und Freiflächen zugebaut sind und es immer noch nicht reicht?“ Die Antwort des städtischen Vertreters auf solche Fragen war ausweichend, er beschrieb das Wachstum der Stadt fast wie eine eigenständige Entwicklung, die vor allem durch die Attraktivität der Stadt selbst bedingt sei.
Das Planungsreferat präsentierte außerdem seine Voruntersuchungen, deren erste Ergebnisse auch als anschauliche Karten in der Halle ausgestellt waren – die Stellwände waren bald von vielen Interessierten belagert. Themen der Untersuchungen waren unter anderem das Grundwasser, die Agrarstruktur, der Landschafts- und Naturschutz und die Mobilität. Beim Verkehr fiel auf, dass jeder Vorschlag entweder eine U-Bahn-Linie oder Tram bis ins nahe gelegene Dachau enthält.
Überraschungsgäste Kiebitz und Lerche
Unter den Besuchern war auch Christian Hierneis vom Bund Naturschutz München, der seine eigene Karte aus der Tasche zog (Bild zur Vergrößerung anklicken): Sie zeigte Brutgebiete der Feldlerche und des Kiebitz im Münchner Norden, die der hiesige Landesbund für Vogelschutz (LBV) und Bund Naturschutz (BN) in den letzten Jahren kartiert hatten. Der Kiebitz wurde heuer zum „Vogel des Jahres“ gewählt, aber wichtiger für die Stadtplanung ist etwas anderes: Kiebitz und Feldlerche sind in der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU gelistet und müssen daher bei Planungen berücksichtigt werden.
Eigentlich brütet der Kiebitz gern auf extensivem Grünland, doch es genügen ihm auch Ackerflächen. Wenn die Landwirte beim Bearbeiten ihrer Felder auf Vogelnester am Boden achten, funktioniert das recht gut, die Situation der gefährdeten Feldvögel könnte dennoch verbessert werden. Grünflächen in Wohngebieten kämen dafür aber gar nicht in Frage: „Kiebitze und Feldlerchen können nicht auf grüne Dächer oder Parks ausweichen“, schrieb die Ornithologin Sophia Engel vom LBV, diese Vögel brauchen offene Landschaften. (Der südlich an Feldmoching angrenzende Ortsteil heißt nicht zufällig Lerchenau …)
Hoher ökologischer Wert der Flächen
Auch die in der Halle ausgestellte Naturschutz-Karte bewertet rund zwei Drittel des Untersuchungsgebiets aus ökologischer Sicht „hoch“ bis „sehr hoch“, weil dort „seltene und gefährdete Tiere und Pflanzen“ vorkommen (siehe Karte unten). Ein Teil davon liegt im Landschaftsschutzgebiet um den Feldmochinger See. Hinzu kommt eine „Parkmeile“, die den See mit dem 1,5 km entfernten Fasanerie-See und dem unbebauten Korridor „Feldmochinger Anger“ östlich des Orts verbinden soll.
Wird das alles berücksichtigt, bleiben für größere Vorhaben höchstens die Flächen zwischen dem Ortsteil Feldmoching und der nördlich gelegenen Autobahn übrig. Doch auch diese tragen im Sommer etwas dazu bei, dass sich die Stadt nicht noch stärker aufheizt: Wiesen und Felder kühlen nachts so stark ab, dass kalte Luft in benachbarte Gebiete strömt.
(Mehr Infos über Kaltluftentstehung in der Städtebaulichen Klimafibel Baden-Württemberg.)
Karte der Untersuchungsergebnisse zum Naturschutz (Quelle: Stellwand der Stadt München)
(rot = sehr hoher Wert, orange = hoher Wert) – Karte vergrößert anzeigen
Hinzu kommt, dass das Grundwasser in den ehemaligen Moorgebieten des Münchner Nordens sehr hoch steht. Daher haben die Flächen auch längerfristig einen Wert für Landwirtschaft und Gartenbau. Das gilt trotz des Klimawandels, der Südbayern weniger hart trifft als trockenere Regionen in Nordbayern.
Streit um Bodenpreise
Die Befürworter der SEM im Stadtrat sind die Grünen, die SPD und die Linke. Dagegen fordern die CSU, die FDP und die Freien Wähler, Teilgebiete auf die herkömmliche Art mit Bebauungsplänen zu erschließen. Bei diesem Konflikt geht es aber nicht nur um das Ausmaß denkbarer Neubaugebiete, sondern auch um die Bodenpreise: Eine SEM könnte womöglich die Preise für einen Ankauf auf einem Niveau einfrieren, das dem günstigen Preis für Ackerland entspricht und nicht dem hohen Preis für Bauland.
Die Befürworter der SEM argumentieren, dass auf diese Weise eine Spekulation mit den Bodenpreisen verhindert würde. Die SEM-Gegner sprechen von einer drohenden Enteignung, die unzulässig sei. Klar ist jedenfalls, dass eine SEM die Anbauflächen mancher Betriebe deutlich verkleinern würde. Im Gebiet gibt es vor allem Ackerbau und Gärtnereien, die meisten arbeiten im Vollerwerb.
Bündnisse pro und kontra SEM
Da dies schon der zweite Anlauf für eine SEM-Nord ist, zieht sich der Konflikt seit vielen Jahren hin. Für SEM nach § 165 BauGB haben sich Münchner Sozialverbände, Gewerkschaften, Mietervereine und Genossenschaften im „Bündnis Pro SEM!“ ausgesprochen. Dagegen organisieren sich vor allem lokale Vereine im „Bündnis München-Nord“, unterstützt von den Naturschutzverbänden und anderen Initiativen. Das Bündnis weist auf seiner Website darauf hin, dass für den Stadtbezirk Feldmoching-Hasenbergl bis zum Jahr 2030 bereits über 7.500 neue Wohnungen geplant oder im Bau sind, davon fast die Hälfte in Feldmoching.
Text und erstes Foto: Irene Gronegger, Diplom-Geographin und freie Journalistin
Hinweis: Die Zwischenüberschriften sind von mir und weichen von der gedruckten Version ab. Kursive Passagen und die folgenden Links sind nachträgliche Ergänzungen.
Material und Links
Die erwähnten Initiativen: www.prosem-muenchen.de und www.buendnis-muenchen-nord.de
Das Positionspapier des BUND Naturschutz und des Landesbund für Vogelschutz (Link zum PDF)
Auf der Website des Planungsreferats zum Münchner Norden können die Gutachten zu den verschiedenen Themenfeldern heruntergeladen werden (muenchen.de/norden). Dort wird mittlerweile auch zur mehrtägigen „Ideenwerkstatt“ im Gasteig eingeladen, die für November 2024 geplant ist.
Hier ein weiterer Artikel aus der BSZ über den Münchner Norden (ebenfalls im Bezirk Feldmoching-Hasenbergl) und Hauptthema dieser Website: Das Bauvorhaben „Eggarten-Siedlung“: Ein Modellquartier in der Frischluftschneise?
Der Lerchenauer See und der südlich angrenzende Eggarten liegen aber außerhalb des SEM-Untersuchungsgebiets.
Online-Veröffentlichung am 12. September 2024, letzte Ergänzung am 17. Oktober 2024
1 Gedanke zu „Große Neubaugebiete im Münchner Norden? („SEM Nord“)“