Das Bauvorhaben „Eggarten-Siedlung“

Mein Artikel mit dem Titel „Ein Modellquartier in der Frischluftschneise?“ erschien am 15. März 2024 in der Bayerischen Staatszeitung (unabhängige Wochenzeitung). Die Zwischenüberschriften stammen von mir und weichen von der gedruckten Zeitungs-Version ab. (Kursive Anmerkungen sind nachträglich ergänzt, denn anders als in der Zeitung ist hier auf der Seite die Zeichenzahl nicht begrenzt.)

Falls Sie das Gebiet noch nicht kennen, bekommen Sie auf Google Maps einen anschaulichen Eindruck, wenn Sie die Gelände-Ansicht wählen – klicken Sie ggf. hier direkt zum Gebiet (Google setzt ein Cookie). Den digitalen Flächennutzungsplan der Stadt München finden Sie im städtischen Geoportal, dort können Sie z.B. „Eggartenstraße“ in die Suche eingeben, dann in der bunten Karte nach der grünen Markierung suchen. Zur Erläuterung können Sie die Legende anklicken. Oder Sie sehen sich den Screenshot am Ende dieses Artikels an, der einen Ausschnitt mit der Eggarten-Siedlung und ihrer Umgebung zeigt.

Bauvorhaben Eggarten-Siedlung

Ein Modellquartier in der Frischluftschneise?

Im Jahr 2007 kaufte die österreichische CA Immobilien Anlagen AG (kurz CA Immo) viele nicht mehr benötigte Bahnflächen in München auf einmal, indem sie eine GmbH des Bundes übernahm. Daraus gingen einige Neubaugebiete in zentraler Lage hervor, zum Beispiel der Arnulfpark in der Nähe der Hackerbrücke.

Teil dieses Großeinkaufs war auch der alte Eggarten im Münchner Norden: Er liegt zwischen dem Lerchenauer See und dem Nordring der Bahn, vor gut hundert Jahren entstand hier eine einfache Siedlung in Erbpacht. In der NS-Zeit riss die Reichsbahn das Gebiet an sich, weil eigentlich ein Rangierbahnhof geplant war; stattdessen wurde der Eggarten zur Eisenbahner-Siedlung. Im Flächennutzungsplan ist er immer noch als Bahn- und Gewerbegebiet ausgewiesen.

Seit einem Jahr wohnt hier niemand mehr, ein Teil der Häuser ist schon abgerissen. Manche Grundstücke werden aber immer noch als Kleingärten genutzt, die Verträge werden aber nur von Jahr zu Jahr verlängert. Wenn jemand starb, auszog oder gekündigt wurde, suchten die Eigentümer keine neuen Mieter oder Gartenpächter mehr, um irgendwann neu bauen zu können. Ungenutzte Flächen verwilderten, der Eggarten wurde zum vielfältigen Biotop und Lost Place, in der Nacht jagen die Fledermäuse. Die Straßen der Siedlung sind nicht geteert, die Stromkabel verlaufen noch oberirdisch über Masten. Hier wurden viele Fernsehkrimis gedreht, auch Szenen für den Eberhofer-Film „Dampfnudelblues“.

Ein Neubauprojekt im Biotop?

Seit einigen Jahren will die Stadt hier 1800 Wohnungen ermöglichen. Viele hundert Bäume sollen dafür fallen, zahllose Sträucher verschwinden. Auch die Kaltluftbahnen, die aus dem Norden und von einem breiten grünen Band westlich des Eggartens frische Luft durch die Stadt strömen lassen, würden durch die geplante Bebauung spürbar geschwächt. Das passt nicht recht zum „Klimanotstand“, den der Stadtrat Ende 2019 ausgerufen hat.

Zu den großen Befürwortern des Bauprojekts gehören die SPD, die Grünen und die CSU im Münchner Rathaus. Im örtlichen Bezirksausschuss (Feldmoching-Hasenbergl) lehnen fast alle Mitglieder das Bauprojekt ab, ebenso die Einwohner bei den Bezirksversammlungen.

Genossenschaften wollen mitbauen

Dass ein Bauvorhaben der CA Immo und der Büschl Unternehmensgruppe auch bei SPD und Grünen im Rathaus so gut ankommt, hat einen Grund: Die Investoren haben Genossenschaften ins Boot geholt, die rund die Hälfte des Bauprojekts übernehmen sollen. Das hätte für die großen Investoren den Vorteil, dass sie sich auf teure Wohnungen konzentrieren könnten, derweil würden die Genossen freiwillig für den in München vorgeschriebenen Anteil an bezahlbarem Wohnraum sorgen. Die Dachgenossenschaft GIMA eG ist für die Koordination und Verhandlungen mit der Stadt und den Investoren zuständig, ebenso für politische Öffentlichkeitsarbeit.

Außerdem bringt manche Wohnbau-Genossenschaft ein Image mit, das zur Durchsetzung umstrittener Bauprojekte nützlich sein kann: Die Wogeno München eG steht laut vollständigem Namen für „selbstverwaltetes, soziales und ökologisches Wohnen“. Mit ihrer Tochter-GmbH namens Cohaus München kann sie Bauprojekte für die Wogeno und deren kleinere Partner selbst planen, auch Häuser in Holzbauweise.

Greenwashing per „Modellquartier

Als ein Preisgericht im Juli 2020 den Sieger des städtebaulichen Wettbewerbs (den die Investoren ausgelobt hatten) für eine Eggarten-Bebauung auswählte, begann prompt eine PR-Kampagne mit öffentlichen Veranstaltungen: Die Bauprojektentwickler präsentierten ihr Vorhaben als angeblich „klimaneutrales Modellquartier“. Neben Genossenschaften war auch Green City geschickt eingebunden – ein Verein, der sich seit Jahrzehnten für Stadtbegrünung einsetzt.

Ein Mitglied des ehrenamtlichen Vorstands erklärt dazu per E-Mail, dass Green City seine Teilnahme an solchen Veranstaltungen als „offenen Dialog“ mit den Investoren auffasste. Man möchte das auch nicht als Greenwashing verstanden wissen. Außerdem habe das „Begrünungsbüro“ von Green City die Projektentwickler beraten, weil dieses städtisch geförderte Angebot allen zur Verfügung stehe. Eigentlich hatte Green City im Jahr 2019 zusammen mit anderen Münchner Vereinen einen Vorschlag präsentiert, wie man den Eggarten ohne Neubebauung vielseitig und naturnah nutzen könnte. Green City möchte sein späteres Engagement an der Seite der Investoren aber nicht als Kurswechsel in der Sache verstanden wissen.

Naturschützer gegen die Bebauung

Bei Bauvorhaben wird die Öffentlichkeit beteiligt. Daher verfasste der Bund Naturschutz (Kreisgruppe München) im Juli 2021 eine Stellungnahme und lehnte darin eine Bebauung vollständig ab. Das Schreiben nannte den Eggarten ein „Zentrum des Biotopverbunds im Münchner Norden“ und erwähnte neun geschützte Fledermaus-Arten. Außerdem leben demnach 36 Vogelarten und sogar Amphibien im Gebiet, darunter der stark gefährdete Laubfrosch. Auch Reptilien lassen sich hier finden: Zauneidechse, Ringelnatter und Blindschleiche.

Einwohner und Pächterinnen im Eggarten hatten außerdem viele Insekten fotografiert, auch Wildbienen waren dabei. Als Ende 2021 der Abriss etlicher Häuser im Eggarten bevorstand, die teils für die Fledermäuse wichtig sind, ließen weitere Aktive ein aktuelles Gutachten erstellen. Das nötige Geld spendeten Privatpersonen und die ÖDP München. Das Gutachten konnte aber nichts mehr ausrichten: Die Untere Naturschutzbehörde der Stadtverwaltung genehmigte den Abbruch, der 2022 begann und noch nicht abgeschlossen ist.

Unter den Münchner Parteien hatte sich die ÖDP am stärksten für den Eggarten engagiert, ein Stadtrat war anlässlich des Eggarten-Konflikts sogar von der CSU zur ÖDP gewechselt. Nach der Niederlage um die alten Häuser wurde es still um das Thema. Die ÖDP konzentrierte sich ab Frühjahr 2022 auf eine große Kampagne für das Bürgerbegehren „Grünflächen erhalten“, welches aber den Eggarten laut Flächennutzungsplan nicht schützt. Bei Fragen zum Eggarten verweist die ÖDP auf ihren früheren Einsatz.

Münchner Grüne für dichte Bebauung

Christian Hierneis, der örtliche Vorsitzende des Bund Naturschutz, sitzt im Landtag und ist Umweltsprecher der Grünen. Seine Kritik am Neubau- und Wachstumskurs der Stadt München hat aber kaum Einfluss auf die Grünen im Rathaus: Die grüne Oberbürgermeister-Kandidatin Katrin Habenschaden warb im Stadtratswahlkampf 2020 für eine Teilbebauung im Eggarten, deren Umfang nicht näher definiert war. So verzichteten die Grünen auf Verhandlungsmasse mit der SPD, denn ein gewisser Anteil an unbebauten Flächen ist sowieso vorgeschrieben. Im Jahr 2021 stimmten die Grünen im Planungsausschuss einer dichten Bebauung zu, dagegen hielten nur die Vertreter der drei kleinen Ausschussgemeinschaften – das waren damals die FDP/Bayernpartei, die ÖDP/Freie Wähler/München-Liste und Die Linke/Die Partei.

Mit dem Leiterwagerl durchs Viertel?

Der Grünen-Stadtrat Paul Bickelbacher setzt sich ganz aktiv für eine dichte Bebauung des Eggartens ein und lobt den Siegerentwurf. Zuletzt präsentierte er bei einer Veranstaltung der Projektentwickler im Dezember 2023 das Mobilitätskonzept für die geplante Siedlung. Vorgesehen sind Quartiersgaragen und Carsharing, dazu „Lastenrad und Bollerwagen für die letzten Meter“.

Christian Stupka von der GIMA eG (sowie Gründungsmitglied und früherer Vorstand der Wogeno-Baugenossen) argumentierte auf dem Podium rein technisch für Neubaugebiete in der Stadt und auch im Eggarten: Je höher und dichter die Häuser gebaut würden, umso geringer die Versiegelung des Bodens. Und je zentraler die Lage, desto kürzer die Verkehrswege. Allerdings ist gar nicht absehbar, ob und wann hier am Nordring ein S-Bahnhof gebaut werden könnte, derzeit gibt es in der Umgebung nur Bushaltestellen.

Dieses jüngste Podium fand im städtischen Kulturzentrum Gasteig HP8 statt. Das verlieh der Sache einen gefühlt kommunalen Charakter, der Raum war aber nur angemietet. Da zwei Lokalzeitungen (die Abendzeitung und der Münchner Merkur) sehr kritisch berichteten, wurde die schlecht besuchte PR-Veranstaltung im Gasteig eher ein Erfolg für die Bürgerinitiative „Pro Eggarten“, die im Publikum vertreten war und sich seit 2017 für die Bewahrung des Gebiets einsetzt. Derzeit bereitet das Planungsreferat einen Bebauungsplan und die zugehörige Beteiligung der Öffentlichkeit vor, danach wird der Stadtrat abstimmen.

Nachtrag: Der Billigungsbeschluss wurde mittlerweile von Herbst 2024 auf Mai 2025 verschoben, das heißt: Das Bauprojekt ist nicht wirklich fix.

Flächennutzungplan München - Eggarten und Umgebung

Der Screenshot aus dem Flächennutzungsplan zeigt das Gebiet der Eggarten-Siedlung und Umgebung. Klicken Sie für eine größere Darstellung auf das Bild. Die grüne Nadel weist auf die Eggartenstraße. Am unteren Bildrand verläuft in knallkgelb die Triebstraße. Am oberen Bildrand liegt in hellblau der Lerchenauer See, umgeben von einer Allgemeinen Grünfläche (abgekürzt AG). Die Bänder aus grün schraffierten Streifen stehen für Grünzüge, die Abkürzung OEKO steht für ökologische Vorrangflächen, BE bedeutet Gewerbeflächen. BAHN ist zwar selbsterklärend, heißt aber nicht zwingend, dass sich auf diesen Flächen tatsächlich Gleise und Bahnanlagen befinden: Durch die Eggarten-Siedlung führte nie eine Bahnstrecke.

Lesen Sie einen weiteren Artikel aus der BSZ über Planungen im Stadtbezirk 24 (das SEM-Planungsgebiet in Feldmoching liegt weiter nordwestlich): Große Neubaugebiete im Münchner Norden? („SEM Nord“)

Außerdem den Blogartikel: Wogeno wird Neubauwohnungen schwer los