Naturschutz im Eggarten

Im Naturschutz gibt es vielerlei gesetzliche Vorschriften: Es gelten EU-Regelungen, die Bundes- und Landesgesetze, dazu kommen verschiedene kommunale Verordnungen. Einige Gesetze und Verordnungen treffen nicht direkt auf das Gebiet des Eggartens zu, andere formulieren eher allgemeine Ziele. Fast könnte man meinen, der Eggarten habe trotz seiner hohen Artenvielfalt einfach Pech und falle durch die Lücken der Schutzgesetze. Aber stimmt das wirklich?

Die Haltung des Planungsreferats zum Naturschutzrecht

Interessante Einblicke bietet eine Anfrage von Stadtrat Tobias Ruff aus dem Jahr 2019 und vor allem die ausführliche Antwort von Stadtbaurätin Elisabeth Merk in der Rathausumschau (nachzulesen bei LA24, dem Blog des Lokalanzeigers in Feldmoching). Die Anfrage arbeitete sich durch verschiedene Regelwerke des Naturschutzes und fragte, inwieweit der Eggarten dadurch geschützt sein könnte.

In ihrer Antwort erklärte die Stadtbaurätin, die vorkommenden Tierarten kämen auch anderswo vor oder die Vegetation sei zu alltäglich, um geschützt oder schutzwürdig zu sein (siehe auch unten zum EU-Naturschutz: FFH-Richtlinie und FFH-Arten im Eggarten). Als einzige Ausnahme nannte Merk in ihrer Antwort kleinflächige Magerrasen am Rand des Eggartens, die nach dem Bayerischen Naturschutzgesetz geschützt sind und im Biotopverbund zu berücksichtigt werden müssen. (Das ist die einzige Stelle in der langen Antwort, in der das Wort „Biotopverbund“ überhaupt vorkommt.)

Hier sind wir schon mitten im Problem: Statt den Biotopverbund als Ganzes zu betrachten, geht es im Planungsreferat darum, dass dies und jenes nicht selten genug sei, um dabei einbezogen und bewahrt zu werden. Wenn aber, wie die Stadtbaurätin argumentiert, bestimmte Tier- und Pflanzenarten auch in benachbarten Gebieten vorkommen, ist das ein Argument für ein breites, grünes Band im Münchner Norden – nicht etwa dagegen. Das könnte auch anderen, selteneren Arten helfen, sich in München zu halten, auch wenn sie im Eggarten derzeit nicht eindeutig nachgewiesen werden können.

Unterbrechungen der Grünverbindungen gibt es bereits mehr als genug, zum Beispiel große Straßen und dicht bebaute Gebiete. Gefährdete Tier- und Pflanzenarten sollen aber möglichst nicht als Relikte auf kleinen Inseln überleben, sondern im genetischen Austausch mit den Artverwandten bleiben. Im Naturschutz gibt es nicht nur den Begriff des Biotopverbundes, sondern auch den der Biotopverinselung.

Beispiel: Feldgehölze im bayerischen Naturschutzrecht

Hecke im Eggarten - Weißdorn mit Früchten
Hecke im Eggarten – Weißdorn mit Früchten in der Daxetstraße im Oktober 2024 (Bild größer klicken)
Im Eggarten kommen neben zahlreichen Bäumen auch viele kleinere Gehölze vor: Obstbäume in den Gärten sowie Hecken und Sträucher. In der oben verlinkten Anfrage ist der Artikel 16 des Bayerischen Naturschutzgesetzes zu bestimmten Landschaftsbestandteilen erwähnt. Er lautet: Es ist verboten, in der freien Natur 1. Hecken, lebende Zäune, Feldgehölze oder -gebüsche (…) zu roden, abzuschneiden, zu fällen oder auf sonstige Weise erheblich zu beeinträchtigen (…).

Den Feldgehölzen im Eggarten räumte man im Hause Merk zwar einen ökologischen Wert ein. Aber leider (oder zum Glück, wenn man dort bauen will) befinden sie sich am falschen Ort, nämlich nicht in einer landwirtschaftlichen Umgebung, sondern in einer Gartensiedlung. So sind die Bäume und Sträucher im Eggarten nur im Sommerhalbjahr allgemein vor Schnitt und Fällung geschützt (§39 (5) BNatSchG), damit dort brütende Vögel nicht gestört werden.

Die Stadtbaurätin erwähnte von sich aus noch die städtische Baumschutzverordnung, weil sie im Eggarten nicht gilt. Für Feldgehölze wäre diese Verordnung auch anderswo nicht zuständig, weil sie den nötigen Stammumfang von derzeit 80 Zentimetern nicht erreichen. Aber auch für größere Bäume gilt die Baumschutzverordnung im Eggarten nicht, denn auch in diesem Punkt liegt der Eggarten am falschen Ort: Im so genannten städtebaulichen Außenbereich ist die Baumschutzverordnung nicht relevant.

(Hintergrund: Der Eggarten liegt weder im Siedlungsgebiet noch im landwirtschaftlichen Gebiet, sondern ist aufgrund seiner Vorgeschichte immer noch als Gewerbe- und Bahnfläche ausgewiesen. Einen Plan-Ausschnitt finden Sie unter dem einführenden Artikel Bauvorhaben Eggarten-Siedlung in München: Ein Modellquartier in der Frischluftschneise?)

Versuche des Stadtrats im Außenbereich

Doch an diesen Punkten setzten die früheren Bemühungen des Stadtrats an (siehe auch die Chronologie der Planungen und Aktionen mit weiteren Links): Die Grünen wollten im Jahr 2016 die Baumschutzverordnung auf den Außenbereich erweitern und erwähnten dabei auch den Eggarten. Anfang 2017 blitzten sie damit unter Verweis auf die Rechtslage ab (LA24-Bericht). Hinzu kommt, dass die Stadt bei der Anwendung der Baumschutzverordnung ohnehin dem Grundsatz „Baurecht vor Baumrecht“ folgt und in diesem Punkt keine Änderung absehbar ist.

Die ÖDP beantragte für den Eggarten eine Erhaltungssatzung nach § 172 BauGB zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart – für eine Gartensiedlung im Außenbereich. Auch dies erscheint schwierig und ist nach der Rechtsauffassung des Planungsreferates nicht möglich (Auskunft per E-Mail).

EU-Naturschutz: FFH-Richtlinie und FFH-Arten

Die FFH-Richtlinie (Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie) ist im Bundesnaturschutzgesetz verankert und damit rechtsverbindlich. In den Stellungnahmen der Münchner Naturschutzverbände von 2021 ist zu lesen, dass neben einem qualifizierten Umweltbericht eine FFH-Verträglichkeitsprüfung für die FFH-Anhangsarten (Bufotes viridis, Lacerta agilis, Eptesicus serotinus, Myotis mystacinus und Myotis myotis) fehlt. (Die Stellungnahmen zum Download: PDF des LBV und PDF des BN.) Die deutschen Namen dieser Arten sind Wechselkröte, Zauneidechse, Breitflügelfledermaus, Kleine Bartfledermaus und Großes Mausohr.

Stadtbaurätin Merk erwähnte in ihrer ganz oben verlinkten Antwort den Laubfrosch und die Zauneidechse als „Einzeltiere“ im Eggarten, sowie Laubfrosch und Wechselkröte „in größeren Beständen westlich der Eggarten-Siedlung“. Und „vier Fledermausarten können Quartiere in der Eggarten-Siedlung besitzen“. Merk stützte ihre Aussagen auf Erhebungen aus den Jahren 2017 und 2018 und bezeichnete sie als vorläufig: „Die Kartierung wird im Zuge der weiteren Planung ergänzt und dann als Grundlage für Unterlagen zur speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung dienen.“

Fledermäuse und Gutachten im Eggarten

Dabei handelt es sich offenbar um das Gutachten aus dem Jahr 2019 (Dr. Ralf Schreiber, Biologe): Es beruht auf Untersuchungen aus den Jahren 2017 und 2018 und liegt mir vor. Neun Fledermausarten sind im Eggarten sicher dokumentiert, darunter die von BN und LBV oben genannten Arten. Einige kommen sogar in größerer Zahl vor, darunter die Zwergfledermaus. Am häufigsten wurden Rauhaut- und Weißrandfledermaus nachgewiesen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Quartiere im Eggarten haben (Stand 2017/18). Einige Arten treten dort nur im Frühling oder Herbst auf. Alle in diesem Gutachten nachgewiesenen Fledermausarten sind im Anhang IV der FFH-Richtlinie gelistet. Das Gutachten weist in seiner Bewertung darauf hin, dass sich die Lage der Fledermäuse durch weitere Leerstände im Eggarten noch verbessern dürfte.

Die Projektentwickler sind dem zuvorgekommen: Sie veranlassten den Abriss mehrerer Häuser, der im November 2021 begann. Die Untere Naturschutzbehörde der Stadt ließ dies zu, weil die Projektentwickler ein neueres Gutachten eingereicht hatten, das ein anderes Bild vermittelte (siehe AZ-Bericht). Auch die Gegner der Eggarten-Bebauung gaben eine Untersuchung in Auftrag: Das Ökologiebüro Gruber zeichnete im Frühling 2021 fünf Wochen lang die Rufsequenzen von Fledermäusen auf, die sich akustisch unterscheiden lassen. Dabei wurden drei weitere Arten erfasst, die zumindest sporadisch im Eggarten vorkommen.

Eggarten als Landschaftsschutzgebiet

Zurück zum nationalen Naturschutzrecht: Bemerkenswert ist, dass noch niemand öffentlich versucht oder gewagt hat, den Eggarten als Landschaftsschutzgebiet (LSG) auszuweisen. Das ist inhaltlich nicht abwegig, denn der § 26 (1) des Bundesnaturschutzgesetzes lautet:

Landschaftsschutzgebiete sind rechtsverbindlich festgesetzte Gebiete, in denen ein besonderer Schutz von Natur und Landschaft erforderlich ist
1. zur Erhaltung, Entwicklung oder Wiederherstellung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder der Regenerationsfähigkeit und nachhaltigen Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, einschließlich des Schutzes von Lebensstätten und Lebensräumen bestimmter wild lebender Tier- und Pflanzenarten
2. wegen der Vielfalt, Eigenart und Schönheit oder der besonderen kulturhistorischen Bedeutung der Landschaft oder
3. wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Erholung

Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) fasst das etwas eleganter zusammen: „Ziel der Landschaftsschutzgebiete ist der Schutz von Landschaften sowohl unter naturwissenschaftlich-ökologischen als auch kulturell-sozialen Gesichtspunkten. Dabei soll die Landschaft in ihrer vorgefundenen Eigentümlichkeit und Einmaligkeit erhalten werden.“ (BfN-Website)

Dafür müssen die Flächen weder völlig außergewöhnlich noch frei von menschlicher Nutzung sein: Rund 30 % der Landesfläche Bayerns sind Landschaftsschutzgebiete. Eine Karte aller Gebiete in Bayern zum Reinzoomen gibt es beim StMUV. Und der Eggarten dürfte in jedem Fall zu den landschaftlich wertvollsten 30 % des Stadtgebietes oder auch des Freistaats gehören.

Ausschnitt aus ABSP-Karte mit Vorschlag für Landschaftsschutzgebiete
Karte bitte größer klicken: Schutzgebiete im ABSP (Herausgeber: Bayer. Landesamt für Umwelt)
Nachtrag: Bereits im Jahr 2004 wurde der Eggarten als Landschaftsschutzgebiet vorgeschlagen – allerdings nicht im Stadtrat, sondern im Arten- und Biotopschutzprogramm (ABSP) München: Es enthält eine Karte der Stadt, in der Vorschläge für Schutzgebiete eingezeichnet sind. (Die Karte stammt aus der digitalen Version des ABSP München. – Downloads des ABSP beim Landesamt für Umwelt.)

Hier ein Ausschnitt aus der ABSP-Karte über Schutzgebiete (Bestand und Vorschläge), der Feldmoching und Umgebung zeigt: Flächendeckend hellgrüne Gebiete sind bereits als Landschaftsschutzgebiete (LSG) ausgewiesen. Die hell schraffierten Flächen sind der Vorschlag für LSG, der Eggarten ist die quadratische Siedlung rechts unten. Der rot schraffierte Bereich ist der Vorschlag für ein Naturschutzgebiet und gilt dem Grünzug westlich des Eggartens. Linien in kräftigem Türkis markieren gemeldete FFH-Gebiete.

Die Verantwortung liegt nicht bei Paragraphen

Für geschützte Landschaftsbestandteile nach Art. 16 BayNatSchG (siehe auch das Beispiel Feldgehölze oben) ist die Untere Naturschutzbehörde für die Bewertung und Ausweisung zuständig, die Teil der Stadtverwaltung ist und letzten Endes dem Oberbürgermeister untersteht. Bei einem Landschaftsschutzgebiet ist dies anders, hier ist es die kreisfreie Stadt bzw. der Landkreis selbst (siehe Artikel 51 BayNatSchG über Zuständigkeiten): Das heißt, der Stadtrat kann Verordnungen über Landschaftsschutzgebiete selbst beschließen oder diese Aufgabe dem zuständigen Ausschuss im Stadtrat übertragen. Das bayerische Landesamt für Umwelt erklärte per E-Mail, dies gelte für die Ausweisung, die Änderung der Gebietsgröße sowie für inhaltliche Änderungen der Satzung (z.B. hinsichtlich der darin ausgesprochene Verbote).

Ein aktuelles Beispiel für ein neu beschlossenes Landschaftsschutzgebiet aus dem Jahr 2024 ist der Moosgrund im Münchner Nordosten. Hinzu kommt: Die Sollner Felder im Münchner Süden sollen nach einem erfolgreichen Bürgerbegehren der Bürgerinitiative Grüngürtel München Süd unbebaut bleiben (siehe Wochenanzeiger).

Es fehlt also nicht unbedingt an einem geeigneten Paragraphen, der den Schutz des Eggartens oder bestimmter Teile davon quasi automatisch oder zwangsweise herbeiführen könnte. Es fehlt vor allem am politischen Willen des Stadtrates, seine Gestaltungsmöglichkeiten besser zu nutzen. Vielen Stadtratsmitgliedern fehlt sicher auch die naturschutzfachliche Kompetenz, um den Eggarten überhaupt realistisch einschätzen zu können: Über Jahrzehnte gewachsene Biotope haben einen viel höheren ökologischen Wert als neu geplantes „Grün“.

Neu: EU-Renaturierungsgesetz (Verordnung zur Wiederherstellung der Natur)

Bäume, Grünflächen und Biotope erhielten im Sommer 2024 überraschend Beistand: Mit knapper Mehrheit wurde die EU-Verordnung über die Wiederherstellung der Natur (kurz: EU-Renaturierungsverordnung) verabschiedet, die auch für die Stadtnatur gilt. Artikel 3 (20) der Verordnung definiert städtische Grünflächen als die „Gesamtfläche von Bäumen, Büschen, Sträuchern, dauerhafter krautiger Vegetation, Flechten und Moosen sowie Teichen und Wasserläufen“.

Das Bundesumweltministerium (BUMV) fasst die Ziele so zusammen: „Städtische Ökosysteme dürfen auf nationaler Ebene bis 2030 keinen Nettoverlust an städtischer Grünfläche und Baumüberschirmung erleiden und sollen danach weiter wachsen“ (BUMV). Neben den kommunalen Flächen sind hier natürlich auch die Flächen im Privateigentum zu berücksichtigen. Wie diese im Flächennutzungsplan ausgewiesen sind, spielt hier keine Rolle.

Das heißt: Wenn die Stadt München ihre Linie „Baurecht vor Baumrecht“ beibehält, die ein wesentlicher Grund für den örtlichen Netto-Baumverlust ist, trägt sie dazu bei, dass Deutschland bei den städtischen Ökosystemen hinter den Zielen des Renaturierungsgesetzes zurückbleibt. Denn neu gepflanzte Bäume würden Jahrzehnte brauchen, um die Verluste tatsächlich auszugleichen. Hinzu kommt, dass bundesweit betrachtet viele Regionen vom Klimawandel und trockenen Sommern viel härter getroffen werden als Südbayern – München bleibt dank vieler Sommergewitter und der Stauwirkung der Alpen vom Schlimmsten verschont.

Den städtischen Grünflächenanteil im Sinne des neuen Renaturierungsgesetzes wird die Stadt nicht selbst berechnen: Die entscheidenden Daten für das Monitoring liefert direkt das Weltraumprogramm der Europäischen Union. Das erklärt auch, warum die Verordnung als wesentliches Kriterium den Baumüberschirmungsgrad nennt – dieser lässt sich mit Satellitendaten objektiv erfassen. Auch Grünflächen (definiert als permanent krautig bewachsene Flächen) lassen sich gut per Satellit messen.

Zum Weiterlesen: Irene Gronegger – Das neue EU-Renaturierungsgesetz gilt auch für die Stadtnatur. In: Standpunkte 1/2025, Schwerpunkt „Stadt und Dichte“

Der bisherige letzte Abschnitt über Frischluftschneisen und Klimanotstand ist jetzt in einen eigenen Beitrag ausgelagert, Sie finden ihn unter Kaltluftbahnen und Stadtklima.

Zur Verfasserin: Irene Gronegger studierte Geographie, Landschaftsökologie und Bodenkunde in München und Wien. Sie schrieb in den Jahren 1999/2000 ihre Diplomarbeit über eine erhaltenswerte Kulturlandschaft im Landkreis Erding (mittelalterliche Weinbauterrassen) und arbeitete dabei u.a. mit Biotopkartierung und Landschaftspflegekonzept. – Ihr Studienpraktikum absolvierte sie beim Magistrat der Stadt Wien, Arbeitsgruppe Grün- und Freiraum.

Veröffentlicht am 22. Januar 2025, um FFH-Abschnitt, ABSP-Hinweis und Karte erweitert am 16. und 17. März, sprachliche Überarbeitung am 30. April