Screenshot: Wogeno-Mitglieder mögen keine Neubauwohnungen in den Außenbezirken *
In ihrem Juli-Rundbrief (72/2024) offenbart die Wohngenossenschaft Wogeno München eG Erstaunliches: „(…) wie die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, sind die Wohnungen außerhalb des Mittleren Ringes bei unserer Mitgliedschaft nicht sehr begehrt.“ (Klick auf obiges Bild vergrößert Screenshot)
Neumitglieder dringend gesucht
Doch es gibt eine Lösung: Die Wogeno wirbt bei Nichtmitgliedern für ihre Genossenschaft. Das gilt besonders für geförderte Wohnungen, die man nur unterhalb bestimmter Einkommensgrenzen bekommt. Einen „München-Modell-Schein“ haben laut Rundbrief nur wenige der langjährigen Genossen. Das typische Mitglied gehört nämlich der deutschen Mittelschicht an – das räumte schon ein Wogeno-Rundbrief von 2015 (Nr. 55, S. 6) ein. – (Link zum Verzeichnis der Rundbriefe)
Damit die angeworbenen Neuen tatsächlich in eine Wohnung einziehen können, genügen ein Beitritt mittels einiger Genossenschafts-Anteile jedoch nicht: Es müssen zusätzliche Pflichtanteile erworben werden. Auch für kleine und geförderte Wohnungen kommt dabei ein fünfstelliger Betrag zusammen. Dieser wird zwar zwei Jahre nach dem Auszug wieder zurückgezahlt (siehe Rundbrief 72), aber hier muss man zusätzlich bedenken: Auf solche Pflichtanteile gibt es während der Nutzungszeit der Wohnung keine Zinsen und somit auch keinen Inflationsausgleich. (Wenn es einen geförderten Kredit mit Tilgungszuschuss gibt, wird die Entwertung der Anteile etwas gedämpft.)
Bezahlbare Wohnungen in München sind knapp
Für Menschen mit geringem Einkommen ist vor allem die städtische Münchner Wohnen GmbH zuständig, die einen Bestand von fast 70.000 Wohnungen hat und weitere Projekte auf städtischem Grund realisieren kann. Da dieses kommunale Unternehmen hinter den politischen Zielen zurückbleibt, ist es für die Stadt eine gewisse Entlastung, wenn sich die Genossenschaften auch unabhängig vom eigenen Bedarf daran beteiligen, halbwegs bezahlbare Wohnungen zu bauen.
Die Genossenschaften können (wie andere Bauherren auch) passende Förderprogramme der Stadt nutzen, die den Wohnungsbau erleichtern sollen (Link). Seit 2022 gibt es zudem die Förderung „Holzwohnungsbau in München“ für mehrgeschossige Bauten – wie maßgeschneidert für die Wogeno, die damit schon Erfahrung hat.
Ökologisch bauen auf Wiesen und Ackerboden?
Die Wogeno München eG beansprucht in der Langfassung ihres Namens „ökologisches Wohnen“ für sich. Doch warum lobbyierte sie im Bündnis „Pro SEM!“ für große Neubaugebiete am Münchner Stadtrand, zumal es ihren Mitgliedern dort gar nicht gut genug wäre? (Siehe auch BSZ-Artikel über die SEM Nord: Große Neubaugebiete im Münchner Norden?)
Das Problem beim Bauen am Stadtrand: Ackerboden hat zwar in der Öffentlichkeit ein eher geringes Ansehen, besonders wenn er konventionell bewirtschaftet wird. Aber auch das ödeste Maisfeld könnte eines Tages immer noch auf Bioanbau, Gärtnerei, ein Erholungsgebiet oder etwas anderes umgestellt werden. Doch sobald es bebaut ist, fallen für die nächsten Generationen alle alternativen Möglichkeiten weg. Daran ändern weder eine Holzbauweise noch begrünte Dächer etwas.
Eine Versiegelung großer Flächen im Norden oder Osten der Stadt wäre auch mit ambitionierter Begrünung für das Stadtklima insgesamt nachteilig. Das würde sich auch auf die guten Wohnlagen innerhalb des mittleren Rings auswirken, welche die bürgerlichen Genossen bevorzugen. Auch eine (Teil-)Bebauung des Eggartens würde die Durchlüftung und Frischluftzufuhr in weiter stadteinwärts gelegenen Stadtteilen verschlechtern, besonders im Olympiadorf und angrenzenden Gebieten.
Auch bei den Baugenossen geht’s ums Geld
Betreibt man den ganzen Aufwand mit den unbeliebten Neubaugebieten auf unversiegelten Flächen und sogar beim zynisch anmutenden Eggarten-Projekt dennoch, weil man als Wogeno-Mitglied an eine Idee glaubt? Also an das Wohnen in Gemeinschaften, die Kinder spielen glücklich miteinander im Innenhof, und die Erwachsenen treffen sich zum Urban Gardening?
Oder ist der entscheidende Punkt, dass bereits viel Geld eingesammelt wurde, welches investiert werden will? Das Eigenkapital der Wogeno München eG hat sich von 2018 bis 2022 fast verdoppelt, die Eigenkapital-Quote ist leicht angestiegen (siehe Screenshot von Northdata).
Screenshot: Wogeno-Kennzahlen laut Northdata (bei Interesse größer klicken)
Sofern es sich nicht um die oben erwähnten Pflichtanteile der Bewohner handelt, gibt es einige Prozent Rendite auf Wogeno-Anteile. Das war auch schon vor Jahren der Fall, als anderswo Nullzinsen üblich waren – ein Anreiz für gut verdienende Mitglieder, ihre Anteile zu halten und zu erhöhen. Doch vergleichbare Erträge bekäme man mittlerweile auch wieder bei mancher Bank. Und der „Solidargedanke“, auf den sich die Wogeno an verschiedenen Stellen beruft, lässt sich anderswo ebenfalls finden.
Sozialistische Bodenpolitik mit Stupka
Während gewöhnliche Mitglieder ihre Anteile horten und auf eine Wohnung in bürgerlichen Vierteln warten, sieht die Welt des marxistisch argumentierenden Christian Stupka von der GIMA eG (und früherer Vorstand bei GIMA und Wogeno) etwas anders aus: Für ihn steht der Kampf gegen hohe Bodenpreise und gegen „Bodenspekulation“ über allem. Wo eine stark verdichtete Bebauung im Stadtgebiet noch irgendwie finanzierbar scheint, müssen das Stadtklima und der Naturschutz zurückstehen.
Die Älteren kennen dieses Phänomen als „Nebenwiderspruch“: Die Hoffnung auf ein Näherrücken der klassenlosen Gesellschaft hat grundsätzlich Vorrang gegenüber allen anderen Anliegen, früher z.B. gegenüber Belangen von Frauen. Wird der Sozialismus ausgerechnet im Eggarten siegen, flankiert von der CA Immo AG? Wir werden sehen. (Siehe auch BSZ-Artikel über das Bauvorhaben „Eggarten-Siedlung“: Ein Modellquartier in der Frischluftschneise?)
Schöner Wohnen dank Stiftung?
Zurück zum Einstieg dieses Artikels. Für geduldige Wogeno-Mitglieder in München, denen ein nagelneues Multikulti-Viertel am Stadtrand nicht gut genug ist, gibt es neben dem überschaubaren, belegten Bestand in den besseren Bezirken einen weiteren Hoffnungsschimmer: Die gemeinnützige Stiftung „Daheim im Viertel“ aus dem nahen Umfeld der Genossenschaften wirbt seit drei Jahren darum, dass man ihr Immobilien „in lebendigen Stadtvierteln“ schenkt, vererbt oder gegen Steuervorteile deutlich unter dem Marktpreis verkauft.
Doch auch solche Häuser bringen meist Mieter mit, die bleiben wollen. So ist es weiterhin ungewiss, ob und wann es mit dem Nachrücken in eine halbwegs bezahlbare Altbauwohnung in „lebendigen“ Stadtteilen wie Haidhausen, Schwabing oder Sendling klappen könnte. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, derweil kann man Anteile ansparen und langweilige Neubaugebiete finanzieren.
*) Der Screenshot ganz oben stammt aus dem Wogeno-Rundbrief 72/2024 und zeigt einen Ausschnitt aus S. 6, um die Aussagen im Original-Kontext zu zeigen. So können sich Leser/-innen ein eigenes Bild machen, denn Links werden erfahrungsgemäß wenig geklickt und PDFs selten runtergeladen. Alle Rechte bleiben bei der Verfasserin und Grafikerin sowie der Wogeno München eG. – Markierung in blaugrau stammt von mir. – Bearbeitungsstand: 20.10.2024
Text: Irene Gronegger, Diplom-Geographin und freie Journalistin